top of page

33. Auf nach Calido

Lissje


Die Vorfreude und die Unsicherheit vermischten sich in mir, während ich durch die Menge in der Kantine schritt. Die Gedanken an Calido und die Fragen, die mir durch den Kopf gingen, waren wie die Wellen, die sich am Strand brachen: mal sanft, mal ungestüm, aber immer präsent.


„Da seid ihr ja!“, rief Aina, als wir uns dem Tisch näherten. „Wir dachten schon, ihr wärt verloren gegangen!“


„Wir waren auf der Suche nach der neuen Heimat“, entgegnete Bro schmunzelnd.


„Wohl eher nach der besten Aussicht“, konterte ich, und die anderen lachten.


„Sollen wir ein bisschen üben?“ Aina grinste. „Ich habe gehört, die Umgebung von Calido ist perfekt für unsere ersten Trainingseinheiten.“


„Training auf einem neuen Planeten? Ein bisschen früh, oder? Lass uns erstmal ankommen!“ Stemio schüttelte den Kopf, aber ich sah das Funkeln in seinen Augen.


„Kommt schon!“, rief Aina begeistert. „Wir sollten wenigstens einen ersten Eindruck sammeln. Wer weiß, was uns erwartet? Vielleicht gibt es gefährliche Tiere oder einheimische Völker!“


„Ich hoffe inständig, dass es keine Redcaps gibt“, murmelte ich, während ich mir die Bilder von Gero und seinen berüchtigten Eskapaden ins Gedächtnis rief. „Ich habe genug von mysteriösen Kreaturen.“


Bro zog mich sanft näher zu sich. „Keine Sorge, ich werde dich beschützen.“ Seine Stimme war warm und beruhigend, und ich muss zugeben, dass ich mich für einen Moment in dem Gedanken verlor, einfach nur in Bros gute Laune einzurollen.


„Glaubst du, wir werden dort auch ein Café finden?“, fragte ich, um das Flüstern der Unsicherheit in mir zu vertreiben.


„Ein Café auf Calido?“, grinste Bro. „Wahrscheinlich.“


Ich konnte nicht anders, als zu lachen. Bro fragte mich: „Und Kaffeekränzchen stehen auf deiner Liste für die ersten Stunden auf dem neuen Planeten?“


Stemio meinte: „Natürlich! Und dann geht’s direkt zur Action. Training, Abenteuer, vielleicht ein bisschen Überlebenskampf!“


„Ich glaube, ich bin nicht bereit für das volle Abenteuer-Programm“, erwiderte ich und sah zu den anderen, die eifrig diskutierten. „Ich will einfach nur ankommen und sehen, wie es auf Calido wirklich ist.“


„Das ist der beste Plan“, sagte Stemio. „Wir müssen uns erst mit der Umgebung vertraut machen – da gibt es sicher einiges zu entdecken.“


Aina stützte ihren Kopf auf ihre Hand und blickte träumerisch aus dem Fenster. „Ich stelle mir vor, wie wir am Strand entlanglaufen und das Wasser unter unseren Füßen glitzert. Die ganze Freiheit...“


„Freiheit ist schön“, murmelte ich, aber meine Gedanken schweiften immer wieder zu den Unbekannten, die sie nach Laroca geschickt hatten. Wie viele von uns würden die Reise überstehen?


Sekura meldete sich erneut: „In einer Stunde ist der erste Shuttle bereit. Ihr müsst euch vorbereiten.“


Da erfüllte ein leises Raunen den Raum. Die Vorfreude verwandelte sich in eine spürbare Anspannung. Aina unterbrach das Schweigen: „Wollen wir uns zusammen aufteilen und nach den besten Plätzen suchen?“


Ich nickte und spürte, wie mein Herz schneller schlug. „Lass uns das tun. Wenn wir diese Reise überstehen, dann sollten wir sie auch gemeinsam meistern.“


„Team 27, auf zur Abreise“, rief Bro und hob die Arme, als wäre er der Kapitän eines großes Raumschiffes. Irgendwie verscheuchte dieser Elan den letzten Anflug von Angst in mir.


Wir standen auf und bewegten uns in die Richtung der Ausgangstür. Während wir durch die Menge schoben, hörten wir plötzlich eine Stimme aus dem Lautsprecher sagen: „Die ersten Gruppen begeben sich jetzt zu den Shuttles!“


„Auf geht’s!“, rief Aina, und gleich darauf standen wir vor der Schiebetür, die sich mit einem leisen Zischen öffnete.


„Los, wir haben eine neue Welt zu erkunden“, sagte Bro und grinste.


Ich spürte die Neugier und die Vorfreude in mir aufsteigen. Ja, Calido, ich komme, um dich zu erkunden. Und vielleicht würde ich auch herausfinden, wer ich in dieser neuen Welt wirklich war.


Das Shuttleschiff war kleiner als ich erwartet hatte, aber es strahlte modernste Technologie aus. Die Wände schimmerten in sanften Blau- und Grüntönen, und das Licht war gedämpft, als wir uns durch den engen Gang zwängten. Bro hielt meine Hand fest, während wir uns in unsere Sitze drängten. Die anderen Mitglieder der Mannschaft fanden ebenfalls Platz, und ich fühlte mich ein wenig erleichtert, dass wir zusammen waren.


Die Ansagen im Shuttleschiff waren präzise. „Willkommen an Bord des Shuttles 27. Wir starten in wenigen Minuten in Richtung Calido. Bitte sichert euch eure Gurte und stellt sicher, dass alle Vorrichtungen betriebsbereit sind. Der Flug wird ungefähr 45 Minuten dauern. Während dieser Zeit werden wir die Atmosphärenbedingungen und die Sicherheitsprotokolle für eure Gesundheit überprüfen.“


Ich spürte das Kribbeln der Aufregung in meinem Bauch und gleichzeitig auch ein mulmiges Gefühl. Die Farben in der Kabine verschwammen, als das Shuttleschiff sich in Bewegung setzte. Die Triebwerke dröhnten, und ich lehnte mich gegen Bro, der mir mit einem ermutigenden Lächeln zur Seite stand. „Bald sind wir da“, flüsterte er, und das Gefühl der Vorfreude überflutete mich.


Der Flug selbst war dramatisch – die Raumstation unter uns wurde kleiner, bis nur noch ein Punkt auf dem Schirm sichtbar war. Plötzlich blitzte Calido vor uns auf, ein überwältigendes Spektakel aus Blau und Grün. Ich würde dieses Bild nie vergessen, wie die sanften Wellen des Ozeans im Sonnenlicht glitzerten.


Nach der Landung wurden wir in einer modernen Anlage begrüßt, in der alles durchorganisiert wirkte. Die Luft roch nach frischen Pflanzen und das Licht der hohen Fenster strömte herein, von den Palmen draußen umrahmt. Wir wurden in eine große Halle geleitet, in der ein paar Uniformierte mit freundlichen, aber bestimmten Mienen warteten.


„Willkommen, Neuankömmlinge“, sagte einer von ihnen. „Ihr werdet nun erneut untersucht und geimpft. Dies dient eurem Schutz in dieser neuen Umgebung.“


Ich erstarrte. Wieder eine Untersuchung. Bro und Stemio blieben dicht an meiner Seite, während wir nacheinander aufgerufen wurden. Als ich die Spritze bekam, dachte ich an die anderen Passagiere, die seit der medizinischen Untersuchung verschwunden waren. Hatten sie eine andere Behandlung bekommen?


„Wir sind bald fertig“, flüsterte Stemio, als wir schließlich die Halle hinter uns ließen. „Du wirst sehen, das Kribbeln wird sich schnell legen.“


„Glaubst du wirklich?“, entgegnete ich und versuchte, die Besorgnis aus meiner Stimme zu verbannen.


Nachdem wir die Formalitäten hinter uns gebracht hatten, wurden wir in unsere Unterkunft gebracht. Über großen grauen Fliesen liefen wir in einen schlichten Raum, der eher an ein Übergangslager als an ein neues Zuhause erinnerte. Die Wände waren weiß, die Möbel minimalistisch und funktional.


„Das ist ja nicht gerade gemütlich“, murmelte ich, während ich in das kleine Zimmer mit zwei Etagenbetten sah.


„Naja, es ist immerhin ein Dach über dem Kopf“, bemerkte Bro und versuchte, mich damit aufzuheitern.


Schließlich erhielten wir eine Art Chip, auf dem unsere Punkte hinterlegt waren, die wir für Einkäufe in der Unterkunft verwenden konnten. Mit dem Chip in der Tasche ging es in die nächste Halle, die als Lager für Neuankömmlinge diente. Wir konnten uns mit neuen Kleidungsstücken und Lebensmitteln eindecken.


Die frischen Produkte in den Regalen waren bunt und exotisch. Überall hingen seltsame Früchte wie rote, längliche Beeren, die an winzige Melonen erinnerten, und große, orangefarbene Gemüse, die wie Kürbisse mit stacheligen Auswüchsen wirkten. Ich zog eine davon heraus und ertastete die raue Oberfläche. „Was ist das für ein Gemüse?“


„Das ist ein Flirr-Kürbis!“, tönte Aina, die plötzlich aufgetaucht war. „Ich habe gehört, dass sie irre lecker sind, wenn man sie richtig zubereitet.“


Zusammen mit Stemio und Bro fingen wir wenig später an, in unserer Unterkunft zu kochen. Der Duft der exotischen Zutaten erfüllte die kleine Küche, als ich mit Aina ein paar der Früchte schnitt. Sie schimmerten in den unterschiedlichsten Farben und schienen bei Berührung fast zu funkeln.


„Das ist die beste Kombination aus süß und salzig, probier mal!“, rief Aina begeistert, als die köstlichen Aromen in die Luft stiegen. Ich nahm einen Biss und ließ die ungewöhnlichen Geschmäcker auf meiner Zunge zergehen. „Wahnsinn!“, murmelte ich und wusste jetzt schon, dass ich auf Calido noch sehr viel zu erkunden hätte.


„Ich könnte mich daran gewöhnen“, sagte Stemio und löffelte eifrig den Eintopf. Das Essen brachte für einen Augenblick alle Ängste und Zweifel aus unseren Köpfen.


Als wir uns nach dem Essen zurücklehnten, war es Aina, die unsere positive Stimmung mit ihren Aussagen dämpfte. „Ich habe gerade erfahren, dass wir für die nächsten drei Wochen in einer der Abteilungen arbeiten müssen“, sagte sie. „Nur so können wir genügend Punkte sammeln, um in die Stadt Helminghafen zu fahren.“


„Was?“, entfuhr es mir, und sofort sank die Stimmung in der Runde. „Wir müssen arbeiten?“


„Ja“, erklärte sie. „Aber keine Sorge, es wird eine Art Einarbeitung sein. Wenn wir uns bewähren, können wir aufsteigen oder sogar in andere Abteilungen wechseln.“


„Ich dachte, wir kämen hierher, um unsere Freiheit zu finden“, murmelte Stemio und schaute wütend auf den Tisch. „Wo zur Hölle ist die ersehnte Calido-Freiheit?“


„Das wusste ich“, fügte Bro hinzu, doch sein Blick fiel schnell auf Aina. Er hielt inne und für einen Moment schien es, als würde sich alles um sie drehen. Ich fühlte, wie es in mir brodelte. Eifersucht schnürte mir die Kehle zu.


„Um uns zu integrieren, müssen wir uns der Sache anpassen“, erklärte Aina, und ihre Stimme klang fast beruhigend. „Aber wenn wir hier wirklich Fuß fassen wollen, müssen wir Hindernisse überwinden.“


„Das klingt alles andere als frei!“, entfuhr es Stemio, der sich aufregte. „Wir sind nicht hierher gekommen, um uns ein neues Leben zu erarbeiten!“


Seine Worte hingen schwer im Raum. Die Realität begann, sich um uns zu verfestigen. Es wurde klar, dass wir nicht einfach die Freiheit und das Paradies gefunden hatten, von dem wir geträumt hatten. Der Abend endete in einer bedrückenden Stille, als ich mich aus der Runde zurückzog und den Kopf voller Gedanken in die Unterkunft ging.


So viel hatte ich mir erhofft und nichts davon schien hier zuzutreffen. In meinem Bett fühlte ich mich verloren und allein, während mich die Eifersucht lähmte. War Bro etwa in Aina verliebt? Was war aus meinem Träumen geworden?


02.12.2024

Kommentare


bottom of page