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34. Paola im Kuppelhaus


In Ostink



 

Nora stand entsetzt in Paolas Kuppelhaus, in dem es sehr wüst aussah. Paola war gerade dabei, ihre teuren Kleider aus Sîlard mit einer großen Schere zu zerschneiden, als sie eintrat. Da sie nicht mit sich reden ließ, rief Nora die Klinik an und ließ Paola schließlich eine Beruhigungsspritze geben und sie abholen. Leider konnte sie weder Greg noch Sarah Rockwen erreichen. 

Nora hatte keine Ahnung davon, dass es genau zu diesem Zeitpunkt noch weitaus chaotischer in ihrem eigenen Haus zuging, weil die Rockwen von Landos Fortgang erfahren hatten. Sie wollten Nora und William zur Rede stellen. Als Greg Rockwen William beschuldigte, seinen »labilen Schwächling von Sohn» nicht im Griff zu haben und er sogar handgreiflich wurde, stand der Fischhändler auf einmal mit einer historischen Harpune vor ihm, die er von der Wand seines Büros gerissen hatte. Der wutschnaubende Immobilienhändler beleidigte William mit allen erdenklichen Schimpfwörtern, während seine Frau Sarah per Toschgab die Polizei anrief. Obwohl die Künstlerin Chaos und Eskapaden stets gern für ihr kreatives Schaffen nutzte und es auch zu eigenen Inszenierungszwecken hervorrief, so war selbst ihr dies nun zu viel. Noch nie hatte es jemand gewagt, ihren geliebten Greg mit einer Harpune zu bedrohen!

 Die gegenseitigen Beleidigungen wurden immer heftiger und bodenloser. Greg schrie: »Ich habe es ja schon immer gewusst, dass ihr hässlichen Kiemenmenschen keinen Anstand habt!»

 Daraufhin erwiderte William: »Ach? Wir haben keinen Anstand? Und wie nennst du das, was deine Frau da hinter deinem Rücken treibt? Und das nennst du Anstand? An deiner Stelle würde ich mal ganz schnell die Klappe halten! Am besten geht ihr endlich wieder nach Süd-Varan, wo ihr hingehört! Hier kann euch nämlich niemand ausstehen!»

»Nimm die Harpune runter, William! Das hier wird dich alles noch teuer zu stehen kommen! Dein Sohn hat meine Tochter geschwängert und ist abgehauen! So sieht`s doch aus! Er übernimmt keine Verantwortung. Von wem hat er das wohl? Alle Ostinker wissen, dass du dich nicht an die Regularien der Blauen Kommission hältst!»

»Was hat denn der Fischfang damit zu tun? Vielleicht ist mein Sohn ja auch nur abgehauen, weil deine Tochter so unausstehlich ist?»

»Jetzt reicht`s aber!», schrie Sarah, deren gekonnte Schminke längst verlaufen war und die nun in ihrem Kleid mit aufgedruckten Kuppelhäusern aussah wie der schmächtige Überrest einer Werbetafel. William ließ die Harpune sinken und ergriff stattdessen die Büste, die diese Verrückte von Nora angefertigt hatte und die seit langer Zeit auf seinem Schreibtisch stand. Er warf sie ihr vor die Füße, sodass sie zerbrach. Dabei rief er:

»Raus aus meinem Haus! Raus aus meiner Firma!»

Im nächsten Moment eilten vier Polizisten herbei, um die Streithähne voneinander zu trennen. Zwei von ihnen brachten unter den neugierigen Blicken sämtlicher Fischer das Ehepaar Rockwen über den Hof zu ihrer Kutsche. Die anderen beiden blieben bei William, um ihn davon abzuhalten, den Rockwens zu folgen oder sie anzugreifen. Bevor unten die Tür ins Schloss fiel, schrie die Künstlerin: »Nie wieder werde ich einen Fuß in diese verfluchte Firma setzen!»                               

»Das hoffe ich doch!», erwiderte William vom Treppengeländer aus. In diesem Moment war er so außer sich, dass ihm ganz egal war, wie viele Fischer Zeugen dieses Streits geworden waren.

Kurz darauf fühlte er sich grauenvoll und verschanzte sich in seinem Büro. Er verließ es nur, um eine halbe Stunde später zur Polizeiwache zu fahren und endlich etwas zu unternehmen. Er hatte schon viel zu lange gewartet!


Ganz abgehetzt gab er eine Vermisstenanzeige auf und veranlasste eine große Suchaktion nach Lando, die ihn viele Tudo kostete.

 

Aber alle von ihm beauftragten Polizisten und Ranger kehrten in den darauffolgenden Tagen ohne Ergebnisse zurück. Sie hatten sämtliche Pfade und Reitwege abgesucht und sich teilweise sogar in den dichten Dschungel hineingewagt, doch keine Spur von Lando Fjordt entdecken können. Auch die Händler und einige Trohpa des Grünen Clans hatten keinen Kiemenmann mit einem großen Rangerhut gesehen. Er schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Jackson riet William, noch einmal in der Nähe des Slómos zu suchen. Doch auch am Fluss wurde niemand fündig. Schließlich beauftragte er zwei Piloten, über dem Dschungel zu kreisen und Ausschau nach seinem Sohn zu halten, was von Vornherein zum Scheitern verurteilt war, weil das dichte Blätterdach kaum einen Blick hindurch ermöglichte. 


Die Lage spitzte sich zu, weil der Ranger Albert seit zwei Tagen mitsamt einem Bus voller Touristen im Dschungel verschwunden war. Ganz Ostink war nun in Sorge und aus Sîlard kamen viele Angehörige, Journalisten und Spezialtruppen, um die Ostinker Polizei mit einer großangelegten Suchaktion zu unterstützen. Alles, was dabei herauskam, waren drei erschossene Trohpatiger, in deren Revier sie vorgedrungen waren, empörte Naturschützer und verängstigte Angehörige und Einwohner. Das Hotel »Zwei Monde» wurde zu einer Seelsorge-Station, in der Tag und Nacht Angehörige der im Dschungel verschollenen Touristen saßen. William gesellte sich nicht zu ihnen, weil er arbeiten musste und die Sîlardi genauso wenig ausstehen konnte wie die Trohpa. Was ging es ihn an, welcher Tourist vermisst wurde? Sein Sohn war fort! Dennoch fragte er sich, wie alle hier, inwiefern das Verschwinden seines Sohnes mit dem des Touristenbusses zusammenhängen könnte. Da es weder ein Erdbeben noch ein Unwetter gegeben hatte, konnten nur Raubtiere oder aggressive Trohpa Schuld daran sein! Diese beiden Vermutungen wurden überall geäußert. Es wurde über ausgehungerte Jagjarus spekuliert oder vermutet, dass sich ein neuer, äußerst brutaler Trohpa-Clan auf die Menschen gestürzt hätte. Was nicht dazu passte, war die Tatsache, dass die Fargomobile der Ranger extrem gesichert waren, die Touristen hinter einer großen Ploxiglas-Scheibe saßen und während der Exkursion auch niemand den Bus verließ. Außerdem hatten Ranger wie der verschollene Albert Pistolen und Gewehre mit an Bord. Aus einem unerfindlichen Grund musste der Bus vom gewohnten Weg abgekommen sein. Die Reifenspuren verloren sich im Westen des Dschungels. Durch tropische Regengüsse waren in der Region alle Spuren verwischt und niemand traute sich, weiter vorzudringen, weil es dort vor Bleuelschlangen und Jagjarus nur so wimmelte. Auch die giftigen Spinnen und die Malutmücken, die ein unheilbares Fieber übertrugen, waren niemandem geheuer. Nicht einmal die erfahrensten Ranger, denen William viele tausend Tudo dafür bot, erklärten sich dazu bereit, in die »rote Zone» vorzudringen.

 

Es war schon dunkel, als William eine Kutsche bestellte und sich zu dem abgelegenen Haus des Rangers Otis Golding fahren ließ. Es lag schräg hinter dem Reiterhof und war eins der letzten Häuser Ostinks. Im Gegensatz zu den typischen Stadthäusern bestand es komplett aus Holz. Der verschroben wirkende rothaarige Otis öffnete ihm die Tür und war nicht erstaunt, William zu sehen, weil er schon über Landos Verschwinden informiert war. Der Fischhändler und er kannten einander noch aus Sandkastenzeiten.


Otis bat ihn herein und kochte wortlos einen Tee. William musterte derweil die Tierschädel, die Geweihe und die Fotos von erlegten Jagjarus und Trohpatigern über dem lodernden Feuer. Ihm gefiel der Geruch des Holzhauses, doch die Tierköpfe und die Schädel, die das Innere dekorierten, kamen ihm wie grauenvolle Botschafter vor, die ihm allesamt ins Gesicht starrten, um sämtliche seiner Ängste nur zu schüren. Wie konnte man hier ruhig am Feuer sitzen? Er hatte Otis schon immer für sonderbar gehalten. Er war ein Mann, der bereits als kleiner Junge mehr Freude daran gehabt hatte, Kaninchen das Fell abzuziehen, als Mädchen zu küssen. Im Grunde wusste William nicht, ob es richtig war, ihn um Hilfe zu bitten, doch nun, da er schon einmal hier war, blieb er in dem abgewetzten, geblümten Lehnstuhl sitzen. Er sah dem alten Rotschopf dabei zu, wie er umständlich ein Tablett mit einer Teekanne auf einen Tisch stellte. Nachdem er sich gesetzt hatte, sagte William mit Blick auf das verzerrte Maul eines ausgestopften Trohpatigers: »Für mich keinen Tee! Ein Aurea wäre mir lieber!»

Daraufhin stand der Ranger noch einmal auf, humpelte in die Küche zurück und kam mit einer Schnapsflasche und einem kleinen Glas zurück. Als William ihn fragend ansah, erklärte er: »Der Aurea hat mich einmal fast mein Leben gekostet. Ich war zu

unkonzentriert.» Daraufhin krempelte er sein rechtes Hosenbein hoch und zeigte seinem Freund eine grauenvolle Narbe. William trank den Schnaps aus. Otis deutete zu einem Schädel rechts vom Kamin. »Der da war`s! Ich kann mir jeden Tag die Zähne des Tieres ansehen, das mein Bein verkrüppelt hat! Glatter Kopfschuss. Siehst du?»

»Ein Jagjaru?»

»Ja. Es war ein schönes Tier. Das Fell hat mir dreitausend Tudo auf dem Schwarzmarkt eingebracht.»

Sie sahen ins Feuer. Dann meinte Otis: »Aber du bist sicher nicht hier, um dir meine alten Ranger-Geschichten anzuhören! Es geht um Lando, stimmt`s?»

»Die Stille Post scheint ja gut zu funktionieren.», erwiderte William ein wenig desillusioniert.

»Wie kann ich dir helfen?»

Nachdem der Fischhändler ihm alle Details seiner Nachforschungen geschildert hatte, bat er Otis darum, im westlichen Dschungel nach Lando zu suchen. Otis Golding, der seit dreißig Jahren als Ranger arbeitete, teilte William mit, dass es seinem eigenen Todesurteil gleichen würde, sich dorthin zu begeben. Ganz blass sah sein Freund ihn daraufhin an und fragte: »Meinst du, er ist bis dahin vorgedrungen?»

»Ich bin kein Hellseher, aber da die Ranger ihn im gesamten nördlichen, östlichen und südlichen Dschungel nicht gefunden haben, bleiben eigentlich nur zwei Optionen: entweder ist er auf dem Slómo in Richtung Westen gefahren oder er ist tatsächlich in die westliche rote Todeszone vorgedrungen.»

»In die rote Todeszone?», wiederholte William erschüttert.

Anschließend überlegte er laut: »Er hat sein neues Pferd mitgenommen, also wird er kaum mit einem Boot den Slómo entlanggeschippert sein. Außerdem ist die Strömung recht stark und er hätte gegen sie anrudern müssen. Das hätte er nicht getan. Mein Sohn hasst alles, was mit Wasser zu tun hat.»

Otis antwortete ihm: »Dann bleibt wohl nur Option Zwei: Er muss mit seinem Pferd in den Westen geritten sein. Es tut mir sehr leid, William! Aber dann kann ich wirklich nichts für dich tun! Sollte er es bis über die roten Felsen zur Wolfsgrader Steppe schaffen, dann wäre das etwas Anderes, weil man ihn dann vielleicht von einem Hubschrauber aus sehen könnte. Alle Piloten sind bereits informiert und halten bei ihren Flügen von Ostink nach Sîlard Ausschau nach ihm.»

»Wie groß sind seine Überlebenschancen?»

»Das kommt darauf an, wie gut er sich selbst verteidigen kann. Wenn er genügend Waffen bei sich hat und ein guter Schütze ist, dann könnte er sich zumindest einige Raubtiere vom Hals halten. Allerdings sind die ja nicht die einzige Gefahr. Er muss nur in das Netz einer der giftigen Spinnen geraten, eine falsche Beere essen oder von einer Bleuelschlange gebissen werden und…»

»Ist ja schon gut! Ich habe dich verstanden!»

Nachdenklich sah William auf die Tierschädel. Einige von ihnen konnte er nicht einmal zuordnen.

»Er hat seinen Revolver mitgenommen. Wahrscheinlich auch ein Messer. Aber er ist weder ein guter Jäger noch besonders mutig. Das Einzige, was ihm zu Gute kommen könnte, ist, dass er sich ausgesprochen gut mit Pflanzen und Tieren auskennt. Er wollte eigentlich Biologie oder Medizin studieren. Mit seinem Freund Ken hat er ständig Kräuter gesammelt.»

»Das klingt doch ganz gut!», ermutigte ihn Otis Golding und fuhr sich danach über seinen roten Vollbart. »Dann weiß er zumindest, von welchen Früchten er sich ernähren kann und welchen Schlangen und Insekten er ausweichen muss.»

»Ja. Aber da ist noch etwas Anderes. Ich möchte dich darum bitten, es wirklich für dich zu behalten!»

Sein Freund nickte. »Selbstverständlich, Will!»

»Jackson hat da so etwas angedeutet. Dieser freche Pferdewirt meinte, Lando hätte eine Trohpa als Geliebte. Ich weiß, das klingt total absurd! Aber ich halte es nicht für ausgeschlossen.»

»Wenn das so ist, dann sieht die Sache natürlich ganz anders aus und würde erklären, warum wir ihn nicht finden. Weißt du, zu welchem Clan die Frau gehört?»


Der Ranger zählte sämtliche Clans auf. Doch jedes Mal schüttelte William den Kopf, bis er schließlich schulterzuckend meinte: »Ich weiß es beim besten Willen nicht!»

»Willst du, dass ich in den Clans nach ihm suche?»

»Ja, wenn du dir das zutraust?»

»Aber natürlich! Die meisten Trohpa kennen mich schließlich seit Jahren. Im Grünen Clan werde ich immer freundlich empfangen. Nur der Ritt zu dem Unlivaster Krallenbären-Clan dauert natürlich sehr lange.»

»Ich gebe dir alles, was du brauchst! Du kannst mein Ribborgi-Pferd nehmen und bekommst genügend Tudo für Waffen und Proviant mit. Von mir aus auch Waren zum Handeln. Vielleicht musst du Lando ja freikaufen?»

»Das klingt sehr gut! Ich mache eine Liste fertig und könnte dann, wenn ich alles habe, in zwei bis drei Tagen losreiten.»

»Bist du dir sicher? Du weißt schon, dass ein Rangerbus im Dschungel verschwunden ist?»

»Ich reite lieber zu den Clans, als dass ich mich freiwillig unter Ostinker begebe.» Er deutete auf seine Schädelsammlung. »Meine Mission war schon immer da draußen! Vielleicht ist Lando ja auch jemand, der sich besser im Dschungel als im Meer bewegen

kann?!»

»Das bezweifle ich. Mein Sohn ist ein Angsthase.»

»Wenn er das wirklich wäre, dann wäre er in Ostink und nicht im Dschungel.»

Diese Antwort gab dem Fischhändler zu denken. Nach einigen Überlegungen fragte er: »Meinst du, er würde ein Raubtier töten? Oder Fische angeln, um sich von ihnen zu ernähren? Er hat doch noch nicht einmal eine Mondmuschel aus dem Meer geholt!»

»Ich weiß es nicht, dafür kenne ich ihn nicht gut genug. Aber wenn er sich in einem der Clans aufhält, dann ist er auf alle Fälle geschützter als wenn er allein unterwegs ist. Lass mich nur machen!»

Plötzlich verstummte Otis und sah William nachdenklich an. »Aber was, wenn er gar nicht zurückkommen will?»

»Dann habe ich es zumindest versucht!» William erhob sich. »Bitte gib dein Bestes! Er ist unser einziger Sohn! Und es geht nicht nur um Nora und mich! Es geht um eine Dynastie!»

»Ich weiß, Will! Was wäre Ostink ohne die Fjordt-Firma? Du kannst dich auf mich verlassen! Ich finde deinen Kiemenjungen schon!», ermutigte ihn Otis.

William sagte auf einmal: »Ich habe noch eine Befürchtung. Aber ich weiß nicht, wie ernst sie zu nehmen ist. Es kursierten im Sommer Gerüchte darüber, dass die Geliebte meines Sohnes eine magische Frau wäre.»

»Zum Donner! Ein Drittauge? Warum hast du das nicht gleich gesagt?» Otis starrte ihn entsetzt an. Dann meinte er: »Das kann nicht sein, Will! Sie haben keinen Kontakt zu uns. Sie leben ganz versteckt und hassen alle anderen Menschen. Das halte ich wirklich für dummes Fischer-Geschwätz! Ich werde alles für dich tun, nur im Leben nicht werde ich mich noch einmal in die Nähe des Magena-Clans wagen!»

»Warst du schon einmal dort?» William setzte sich wieder.

Nun trank Otis doch einen Schnaps und schenkte seinem Gast auch noch einmal ein. »Es ist lange her. Noch zu Beginn meiner Rangerzeit war ich in der Nähe des Slómos bei den roten Felsen unterwegs, um Wellenrehe zu erlegen. Da haben auf einmal zwei dieser Magenas aus dem Unterholz auf mich geschossen.»

Er zeigte William eine weitere Narbe an seinem rechten Oberarm. 

»Ich hatte unglaublich viel Glück.» Er seufzte. »Sie sahen furchterregend aus, William! Ich kann wirklich nur hoffen, dass das ein Scherz ist. Lando wird nie und nimmer Kontakt zu einer Frau ihres Clans haben! Und wo sollte er ihr auch begegnet sein? Zum Markt reiten nur die Männer der Drittaugen. Sie hüten ihre Frauen wie Schätze. Und sie würden es auch nie zulassen, dass ein zweiäugiger Mensch sich einer ihrer Frauen auch nur nähert.»

»Gut, dann kann es sich wirklich nur um dummes Gerede handeln! Sag mal, diese magischen Ketten, die werden doch auch von anderen Clans verkauft, oder? Lando trug nämlich so eine komische Perlenkette.»

Daraufhin lachte Otis und fuhr sich durch die wirren roten Haare. »Magisch? Das ist nichts als kitschiger Schmuck! Fast alle anderen Trohpa verkaufen so etwas. Darauf fallen nur die Touristen rein! Also, wie gesagt, ich kann mich in den Clans umhören. Vielleicht erfahre ich dann zumindest mehr als diese tölpeligen jungen Ranger oder die Polizisten, die sich schon vor einer Mantulaspinne fürchten.»

»Ich danke dir!» Zum Abschied drückte William dem Ranger fest die Hand. Anschließend begab er sich zur Kutsche, die immer noch draußen stand und fuhr damit in Richtung Innenstadt. Otis blickte zum Sternenhimmel hinauf, der heute immens war. Wenn jemand einen Menschen im Dschungel finden konnte, dann er. Aber dennoch hatte er kein gutes Gefühl dabei.

 

In den Tagen darauf stand William oft nur wie erstarrt in seinem Büro und zuckte jedes Mal zusammen, sobald jemand eintrat. Greg und Sarah Rockwen hatten Paola aus der Klinik geholt und eine Pflegerin eingestellt, die vorerst rund um die Uhr bei ihrer Tochter sein sollte. Nora verwehrten sie den Zutritt zum Kuppelhaus, was sie rasend machte. Der Ranger Otis war bereits seit einer Woche unterwegs und hatte sich noch immer nicht bei William gemeldet. Inzwischen war der Skandal durch die lästernden Ostinker und Angela Stamford bald in aller Munde. In sämtlichen Nachrichten standen Schlagzeilen zu lesen: »Der Sohn der Fjordt hat sich einem Trohpa-Clan angeschlossen!» »Fjordt-Erbe dreht durch!» »Lando Fjordt brennt mit einer Trohpa durch!» »Ist Lando Fjord noch zu retten?» »Firma Fjord leidet unter den Eskapaden ihres Sohnes.» »Erbe der Fjord-Firma lässt seine schwangere Frau im Stich.»


Fortan wurde Lando in Ostink mal wieder »der verrückte Lando» genannt. Die Aussagen, Lando würde nun »wie ein Wilder im Dschungel hausen» und hätte seine schwangere Frau allein gelassen, schmerzten William besonders. Der Vergleich eines Wilden mit seinem Sohn! Schließlich hatte er ihn gut erzogen! Das Schlimmste, was man einem Kiemenmann wie ihm antun konnte, der sich seine Position in der Gesellschaft hart erarbeitet hatte, war, ihn gesellschaftlich zu ruinieren. Doch Lando schaffte dies durch seinen Fortgang innerhalb kürzester Zeit. Nächtelang machten William und Nora gar kein Auge mehr zu. Erneut baten sie gemeinsam auf der Polizeiwache darum, nach ihrem Sohn suchen zu lassen. Da William keine Geduld mehr hatte, auf Otis` Rückkehr zu warten, bat er auch andere Ranger um Hilfe. Doch alle schüttelten nur ihre Köpfe, weil sie nicht in die »rote Zone» reiten wollten. Nora weinte sehr viel und saß stundenlang in Landos Wohnung. Sie lud Ken ins Haupthaus ein und spekulierte gemeinsam mit ihm darüber, wo Lando sich aufhalten könnte. Als William in der Firma war und Ken seine Mittagspause mit Nora in der guten Stube verbrachte, sagte er ihr, dass er es auch für sehr wahrscheinlich halten würde, dass Lando zu einer Trohpa geritten wäre. Doch mehr verriet er nicht. Sie flehte ihn an und weinte, aber Ken blieb dabei, er könnte ihr nicht mehr darüber sagen. 


02.12.2024

 

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